Rede zur Eröffnung der Ausstellung im Raketenstation

Ralph Jentsch

Seit Jahren versuche ich bei Aufenthalten in Düsseldorf aktiv Ateliers junger Kunst zu besuchen. Dazu geben mir vollem die Kunstpunkte eine gute Gelegenheit.

Es ist etwa 10 Jahre her, dass ich das Glück hatte, zum ersten Mal der Kunst von Celina Jure, und der Künstlerin selbst, zu begegnen. Es war bei einer Vorbereitung zu den Kunstpunkten, da ich in ihr Atelier nach Neuss kam. Die Ausstellung war noch nicht gehängt. Celina Jure benutzte die Gelegenheit meines Besuches, zahlreiche Arbeiten aus den Regalen zu ziehen, und ich kam in den Genuss einer privat inszenierten Kunstschau. Bereits bei dieser ersten Begegnung war ich von der Expressivität ihrer Kunst, von der Lebendigkeit ihrer Bilder und der Leuchtkraft ihrer Farben beeindruckt.

Wesentlich für das schaffen von Celina Jure scheint mir zu sein, dass sie mit ihrer Kunst den Raum nicht okkupiert. Der Raum wird vielmehr mit einer großen Geste gestaltet. Dabei wird Architektur nicht zerstört, sie wird bekleidet, so wie man mit einem Kleid einen nackten Körper bedeckt, und dem Träger dieses Kleides zusätzliche Eleganz und Schönheit verleiht, ja ihn zauberhaft erscheinen lässt.

In dem schönen Katalog der Ausstellung von Celina Jure im Museum für Zeitgenössische Kunst in Bahía Blanca in Argentinien von 2003, ist eine Aufnahme des Ateliers in Neuss abgebildet. Da stehen und liegen sie nun die großen Rollen, übermannsgroß, und manche 20, 60 und gar Meter lang. Sie sind aufgerollt und man weiß nicht, was sich in Ihnen verbirgt. Sieht man jedoch auch nur einen kleinen Zipfel davon, so bekommt man eine Ahnung, welche Kraft in diesen Bahnen lauert. Und einmal aufgerollt, zur Entfaltung gebracht, eine Wand, ihre Abwinklung, ihre Fortsetzung in einer anderen Richtung bekleidet, bekleidet!, offenbart sich einem die ganze Schönheit, die gewaltige Kraft, die die Kunst von Celina Jure ausmacht.

Ohne die Urelemente, ohne Himmel, ohne die Weite der Landschaften – und dazu gehört aus Argentinien – sind diese Arbeiten nicht denkbar. Doch es bedarf nicht immer nur der großen Geste, des scheinbaren Übermaßes, denn auch die Poesie gehört als wichtiges Element zu den Arbeiten von Celina Jure. Eine Poesie, die man in allen großen Arbeiten von ihr finden kann, durch die sich aber auch die kleinen und kleinsten Formate auszeichnen. Als ein Beispiel mag dieser Katalog gelten, der zu ihrer Ausstellung im Jahr 2000 im Kulturforum Alte Post in Neuss erschienen ist oder die bemalten, selbst gestalteten Einladungen zu dieser Ausstellung.

Celina Jure’s Atelier misst in der Länge etwa 12 Meter. Das heißt, wenn sie auf großen Papierrollen arbeitet, dass sie jeweils nur einen Ausschnitt der langen Bahn bearbeiten und sehen kann. Die intuitiv und frei von allen bewussten oder vorgenommenen Vorhaben aufgetragenen Farbbahnen und Farbflächen, die abstrakten Formen und Kalligraphien, die vehement und expressiv mit dem Pinsel aufgetragen sind, bilden ein oftmals über Monate geführtes unbewusstes Tagebuch. Wie Seiten umgeblättert werden, um dem neuen Tag Platz zu machen, wird Malerei aufgerollt und entschwindet so dem unmittelbaren Blick.

Da aber immer Neues entsteht, das Tagebuch sozusagen fortgeführt wird, erinnert das eben Entstandene auch an das Vergangene. Jeder neuer Eintrag, beziehungsweiße Auftrag auf der langen Bahn, lässt auch die Erinnerung an das bereits Geschaffene wach werden.

Wie der Ich-Erzähler Marcel Proust’s „Suche nach der verlorenen Zeit“ kämpft Celina Jure gegen den unaufhaltsamen Lauf der Zeit. Mit ihrer Kunst, mit den nach allen Richtungen wieder auf- und abrollbaren Bahnen gelingt ihr ein Hin- und Herspringen zwischen Zeitstufen als könnte der Lauf der Zeit wirklich aufgehoben werden.

Vielen unter Ihnen wird die Institution des Kronprinzenpalais in Berlin ein Begriff sein. In den Zwanziger Jahren unter Ludwig Justi, dem Direktor der Nationalgalerie Berlin eingerichtet, wurde das Kronprinzenpalais zu einem Inbegriff der modernen, zeitgenössischen Kunst, zu einer Galerie der lebenden.

Weniger wird bekannt sein, dass es in Düsseldorf eine ähnliche Einrichtung gab, die „Galerie der Neuzeit“, die Anfang der Dreissiger Jahre als ein Bestandteil des Kunstmuseums gegründet wurde. Für die Galerie der Neuzeit wurden Werken junger Künstler, vor allem aus dem Raum Düsseldorf und dem Rheinland, erworben und in einer ständigen Ausstellung gezeigt. Außerdem wurden Einzelausstellungen dieser jungen Künstler veranstaltet. Diese Einrichtung der Galerie der Neuzeit ermöglichte es dem Besucher des Kunstmuseum nicht nur die Alten Meister und Künstler der Klassischen Moderne zu sehen, sondern junge, lebendige, neue Kunst.

Die Einrichtung einer solchen Galerie möchte ich für den Kunstraum Hombroich empfehlen. Bemerkenswert war die Ausstellung „Basis 28 Künstler“, die Gotthard Graubner 1997 hier auf die Raketenstation ausgerichtet hatte. Vertreten waren Künstler, die in irgendeiner Weise eine Verbindung zur Insel Hombroich hatten und noch haben, so zum Beispiel durch Führungen auf der Insel und der Raketenstation oder Mitarbeit im Café. An der Ausstellung beteiligt waren, um nur einige Namen zu nennen: Andreas Bee, Katharina Grosse, Mechthild Hagemann, Celina Jure, Oliver Kruse, Ute Langanky, Martín Mele, Ulrich Moskopp, Hans-Willi Notthoff und Susanne Schmidt.

Im Jahr 2004 gab es in der städtischen Galerie in Viersen eine Ausstellung von 14 Künstlern unter dem Titel „Horizont Hombroich“. Eine ganze Reihe der Künstler von 1997 war hier wieder mit Arbeiten vertreten, der Maler Jens Stittgen unter anderen neu hinzugekommen.

Ich glaube, mit den Künstler, die in diese beiden Ausstellungen vertreten waren, und die auch eine Beziehung zu Hombroich haben, wäre sammlungsmäßig ein guter Anfang gemacht.

Eine solche Galerie de Neuzeit würde an eine große Tradition der Stadt Düsseldorf anknüpfen. Für die Insel und die Raketenstation würde diese Einrichtung eine sinnvolle Erweiterung der Sammlungstätigkeit bedeuten, der jungen Kunst würde sie eine Bühne bieten und dem Besucher eine direkte Möglichkeit sich mit zeitgenössische Kunst auseinander zu setzen.

Mit der Insel und der Raketenstation und der seit Jahren daran beteiligten Künstler bietet sich eine Chance, ein Forum für junge Kunst zuschaffen, das weit über Düsseldorf hinaus auf Interesse stoßen wird. Celina Jure Kunst zeigt, dass sich ein solches Vorhaben lohnt.

Ich danke Ihnen.