Künstlerische Mutationen im mutierten Kaufhaus

Raimund Stecker

Kunst in einem Kaufhauskontext muß nicht per se schlecht sein - man denke nur an Antoine Watteaus "Ladenschild des Kunsthändlers Gersaint", ein Werbeschild sozusagen, und man denke an die Düsseldorfer Aktion von Konrad Lueg und Gerhard Richter "Leben mit Pop - Eine Demonstration für den Kapitalistischen Realismus" 1963 im Möbelhaus Berges.

Kunst in einem Kaufhaus muß ebensowenig per se günstig sein, obwohl wir neidlos anerkennen sollten, daß nicht nur Kleider Leute machen, sondern auch Adressen Preise (dies als Zielvorgabe für VirtuellVisuell).

Kunst in einem Kaufhaus, das nun ein Ausstellungshaus ist, ist im Falle der Ausstellung von Celina Jure und Martin Mele aber auf jeden Fall - auch wenn es hier nicht primär darum geht - kaufbar.

Nicht primär, ja, aber dann doch gemeinhin gilt allerdings, daß ein entscheidendes Kriterium für Verkaufbarkeit die Akzeptanz ist. Diese kann qua Behauptung gleichsam gesetzt werden, diese kann aber auch aufgrund einer argumentativen Herführung begründet werden.

Unternehmen wir, letzteres zu versuchen: Celina Jure Malerei erstreckt sich über 90 Meter. Die Formen und Farben tanzen entlang dieser Strecke. Nicht homogen, nicht als einheitliche Einheit erweist sich diese Malerei in der Betrachtung, sondern als eine Einheit vieler verschiedener Phasen. Momente des Verweilens und Weiterrennens, des ruhig aktiven Wartens und des plötzlichen Explodierens oder auch einer angespannten Aktionszurücknahme und balancierten Ausgewogenheit begegnen uns.

Mit Blick auf das Gemachtwordensein dieser Malerei - aufgrund ihrer Weite fällt es mir schwer, von einem Bild zu reden - läge es nahe, von Spuren zu sprechen, von Spuren eines tänzerischen Malprozesses. Aber was unterschiede diese Beschreibung von der eines nicht geputzten Bodens nach einem Ball?

Entscheidend für mich im Kontext von Kunst ist, daß das Tänzerische in der Malerei von Celina Jure visuell wahrnehmbar wird, daß es anschaulich wird. Und das heißt, daß die Leichtigkeit und Spannung, die aktionistische Befreitheit und Konzentration ästhetisch wird - eben wahrnehmbar.

Um dies unserer Wahrnehmung Angebotene zu erfahren, bedarf es hier einer besonderen Betrachteraktivität, nämlich der, die 90 Meter Malerei sehend abzuschreiten. Nicht im gleichen Schrittmaß wird dies geschehen und nicht kontinuierlich. Sie werden halten und schauen, werden merken, wie Sie verharren und wie es Sie drängt - mal gelöster, mal weniger frei - nicht nur mit den Augen auf das Gesehene zu reagieren, sondern mit dem ganzen Körper - eben: tänzerisch. Wohlgestimmten Farbklängen werden Sie begegnen und befremdlichen, rational gesetzte Elemente treten auf und völlig spontan wirkende, zur Fläche sich dehnende Farben sind präsent und zum Lineament sich neigende. Der papierne Untergrund bleibt nicht selten unberührt und läßt Sprünge assoziieren, viele Farbtöne mischen sich an anderen Stellen zu einem farblich unkonzentrierten Ort, andere Kompartimente brillieren und ziehen das Auge an...

Fraglos ist es nicht der Wille ein in sich geschlossenes Bild zu schaffen, der hier als vorrangiges künstlerisches Movenz auszumachen ist, sondern viel eher der Wille, sich aktionistisch auszudrücken und dieses Sich-Ausdrücken malerisch zu fixieren. Die Malerei von Celina Jure ist Malerei aus einer performativen Absicht heraus - und sie wendet sich an den Betrachter, diese Performance produktiv wahrzunehmen.

Auch wenn die zentrale Skulptur von Martin Mele ähnlich unzentriert scheint, so ist sie es nicht. Das Unzusammenhängende seiner Kunst liegt viel eher in den zusammengefassten Materialien - Alltagsdingen, weggeworfenen Gegenständen, zu Müll deklarierten Gebrauchsgütern... Die ästhetische Absicht allerdings ist die des Schaffens eines Werkes - das Formulieren einer Behauptung gleichsam.

Bilder sind es, die er schafft - nicht nur malt. Spazierstöcke geben ihnen reliefhafte Körperlichkeit, unter die Leinwand gespannte Gegenstände sind es, die den Bildern faktische Plastizität, mithin eine skulpturale Entität verleihen.

Die Malerei Martin Meles dann spielt zumeist gegen diese faktische Dreidimensionalität. Galt es früher, die Zweidimensionalität der Leinwand durch Perspektivkonstruktionen illusionistisch in die dritte Dimension zu erweitern, so sucht Martin Mele heute die von ihm gestiftete Dreidimensionalität in die Fläche zu illusionieren. Ein fraglos spannendes Unternehmen.

Wie eine Metapher treten seine Werke demzufolge dem Betrachter entgegen - wie eine Metapher für die Uneindeutigkeit alles zu Sehenden. So wie Weggeworfenes in seinen Arbeiten künstlerisches Material wird, so vermögen seine Skulpturen gleichsam bildliche Behauptungen zu werden und seine reliefartigen Bilder klar formulierte Statements.

Auch hier kommt der jeweiligen Betrachterleistung eine große Bedeutung zu. Denn nichts ist über die Werke erfahren, wenn ihre Existenzbedingungen erkannt und benannt sind. Aufzuzählen, welche Gegenstände Sie sehen, wiederzuerkennen, daß Sie das eine Stück letztens auch schon weggeschmissen haben und ein anderes noch besitzen - es hilft Ihnen nicht, sich der zur Anschauung gebrachten Absicht zu nähern. Erst das Auffindenwollen der ästhetischen Absicht führt sie weiter. Schauen Sie, welche skulpturale Qualität in der Ansammlung von vermeintlich Belanglosem liegt - erkennen Sie, daß die Summe von bedeutungslos Gewordenem ein Vielfaches der Addition der Einzelwerte ausmacht.

Wir sind am Ende und auch wieder am Beginn. Diese Ausstellung in einem zur Kunsthalle mutierten Kaufhaus hat - auch wenn dies keine inszenierte Absicht war - selbst das Mutieren zum Thema: Flüchtige Bewegung mutiert in der Malerei Celina Jures zur dauerhaft ästhetischen Formulierung und gedankenlos Weggeworfenes mutiert in den Werken Martin Meles zu der immer gültigen Behauptung, daß keinem Ding ein Wert an sich eignet, sondern jedweder Wert abhängt von der individuellen Akzeptanz. Folglich gilt: Auch wenn Kunst in einem ehemaligen Kaufhaus günstig ist, kann ihr Erkenntniswert den finanziellen weit überflügeln. Celina Jures und Martin Meles Ausstellung ist der Beleg.

Raimund Stecker (Rede zur Eröffnung der Ausstellung am 28.IV.2006)